"Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden:
1. Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte;
[...]"
"Zu den geschützten Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst gehören insbesondere:
[...]
6. Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden;
[...]"
"Bearbeitungen oder andere Umgestaltungen eines Werkes, insbesondere auch einer Melodie, dürfen nur mit Zustimmung des Urhebers veröffentlicht oder verwertet werden. Wahrt das neu geschaffene Werk einen hinreichenden Abstand zum benutzten Werk, so liegt keine Bearbeitung oder Umgestaltung im Sinne des Satzes 1 vor."
"(1) Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.
(2) Absatz 1 gilt nicht für die Benutzung eines Werkes der Musik, durch welche eine Melodie erkennbar dem Werk entnommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt wird."
Rn. 54: "Ein Eingriff in ein Verwertungsrecht des Urhebers liegt bereits dann nicht vor, wenn der Gesamteindruck der neuen Gestaltung nicht mit dem Gesamteindruck des benutzten Werks übereinstimmt; es kommt dann nicht darauf an, ob es sich bei der neuen Gestaltung um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handelt."
Rn. 60: "Allerdings weise die äußere Formgestaltung des Porsche 356 aufgrund des vorbekannten Formenschatzes von Kraftfahrzeugen nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Schöpfung nur eine geringe Gestaltungshöhe und damit einen stark eingeschränkten Schutzbereich (kleine Münze) auf."
Rn. 48: "Wie nach der bislang geltenden Rechtslage unter § 24 UrhG aF (Anm.: aF = alte Fassung) soll dann von einem hinreichenden Abstand ausgegangen werden können, wenn die aus dem vorbestehenden Werk entlehnten eigenpersönlichen Züge entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Gesamteindruck nach gegenüber der Eigenart des neuen Werks so stark verblassen, dass das vorbestehende Werk nicht mehr oder nur noch rudimentär zu erkennen ist (BT-Drucks. 19/27426, S. 78). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/27426, S. 78) ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach es an einem Eingriff in den urheberrechtlichen Schutzbereich fehlt, wenn lediglich solche Teile eines vorbestehenden Werkes verwendet werden, die für sich genommen nicht die schöpferische Leistung des Urhebers erkennen lassen (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-5/08, GRUR 2009, 1041 Rn. 48 und 51 - Infopaq International), dass auch das Unionsrecht von einer immanenten Begrenzung des Schutzbereichs des Urheberrechts ausgeht."
Rn. 37: "Ist die Veränderung der benutzten Vorlage indessen so weitreichend, dass die Nachbildung über eine eigene schöpferische Ausdruckskraft verfügt und die entlehnten eigenpersönlichen Züge des Originals angesichts der Eigenart der Nachbildung verblassen, liegt keine Bearbeitung oder andere Umgestaltung im Sinne des § 23 Satz 1 UrhG und erst recht keine Vervielfältigung im Sinne des § 16 UrhG, sondern ein selbständiges Werk vor, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist und das nach § 24 Abs. 1 UrhG ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden darf."
"Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei."
Anmerkungen
Ausgangsfrage
Handelt es sich bei der künstlerischen Arbeit 11 Heroes of the Modern – digital_series#no.201011 um ein neues Werk, wenn dabei auf found footages aus Fußballspiel-Übertragungen zurückgegriffen wird?
Material
Das verwendete Ausgangsmaterial stammt aus Aufzeichnungen eines Herren-Fußball-Nationalmannschaften-Wettbewerbs. Elf Sequenzen sind final ausgewählt worden, in denen Einwürfe bzw. Auswürfe von Spielern auf das Spielfeld stattfinden. Aus ästhetischen Gründen einerseits und um die zum Teil nicht gut erkennbaren Handlungen andererseits sichtbar werden zu lassen, sind die Bilder fokussiert beschnitten und in diversen Bearbeitungsschritten transformiert. Eine zum Teil bis zu zehnfache Verlangsamung der Bildgeschwindigkeit dient der Verdeutlichung wie auch dem künstlerischen Gesamteindruck der elf verwobenen Bildsequenzen in der schließlich komponierten Medienkunst-Installation. Zum Zweck der thematischen Konzentration sind die Sequenzen von allen Kontextinformationen, wie Sendername, Spielername, Spielstand, Partie etc. befreit. Die Handlungen der elf Akteure selbst bleiben unverfälscht.
Zur rechtlichen Situation
Schauen wir uns die Rechtslage für Deutschland an, die durch die Harmonisierung von EU-Recht auch in anderen Staaten der Europäischen Union inzwischen vergleichbar sein dürfte. Zu berücksichtigen sein könnten das Kunsturhebergesetz (KunstUrhG), das Urheberrechtsgesetz (UrhG), das Grundgesetz sowie Rechtsprechungen in Deutschland als auch auf europäischer Ebene.
Nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG dürfen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte ohne die ansonsten nach § 22 erforderliche Einwilligung verbreitet und zur Schau gestellt werden. Wahrscheinlich wird diese Bestimmung bzgl. des neu entstandenen Bewegtbild-Werks nicht anwendbar sein, doch enthält zumindest das Ausstellungs-Display und das Pressematerial ein feststehendes Bild.
Zwar kann davon ausgegangen werden, dass die Spieler mögliche Verwertungsrechte fotografisch oder filmisch erstellter Bilder an den Wettbewerbsausrichter abgetreten haben, dennoch ist nicht auszuschließen, dass der Veranstalter oder einzelne Spieler selbst ihr Image beschädigt sehen könnten. Deshalb soll auf den zeitgeschichtlich dokumentierenden Aspekt verwiesen werden. Die Handlungen der elf Akteure bleiben im Übrigen unverfälscht.
§ 2 Abs. 1 UrhG listet in einer nicht abschließenden Aufzählung Werkarten auf, zu denen unter Nummer 6 auch "Filmwerke einschließlich der Werke, die ähnlich wie Filmwerke geschaffen werden" genannt sind. Für das Ausgangsmaterial könnte somit ein Urheberrechtschutz bestehen. Die Verwertungsrechte dürften von den Urhebern an den Wettbewerbsausrichter abgetreten sowie vom Wettbewerbsausrichter in nicht-exklusiver Lizenz an Sender übertragen worden sein. Da das Ausgangsmaterial eine Dokumentation zeitgeschichtlicher Ereignisse darstellt und der Gestaltungsspielraum auf der Urheberseite damit begrenzt ist, dürfte der Schutzbereich dem der angewandten Kunst und hier dem der sog. kleinen Münze entsprechen. Rechtlich bedeutet das in der Regel, dass identische Vervielfältigungen eine Urheberrechtsverletzung darstellen können, nicht identische wären hingegen keine Urheberrechtsverletzung.
Im vorliegenden Zusammenhang könnte zudem § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG zu beachten sein sowie die Einordnungen aus dem BGH-Urteil I ZR 222-20 (siehe nebenstehend), denn es lässt sich in der neu entstandenen Arbeit eine künstlerische und ästhetische Verarbeitung aufzeigen: Fokussierung, Kontextbefreiung, schwarz-weiß-Transformation, Invertierung, Zeitlupen in unterschiedlichen Tempi, Posterisierungen, Fine-Abstimmungen der Helligkeiten und Kontraste nach ästhetischen Gesichtspunkten sowie die Komposition der 11 Einzelsequenzen zu einer Bildsequenz deuten auf eine eigene schöpferische Leistung hin.
Bei angewandter Kunst, wie dem Ausgangsmaterial, ist dem Urteil des Bundesgerichtshofs I ZR 222-20 zufolge nur ein enger Schutzbereich gewährleistet. Analog zu den Ausführungen in diesem Urteil, ließe sich formulieren, dass aufgrund des vorbekannten Formenschatzes von Fußballspiel-Aufzeichnungen zum Zeitpunkt der Schöpfung die Formengestaltung nur eine geringe Gestaltungshöhe und damit einen stark eingeschränkten Schutzbereich eröffnet (kleine Münze).
Fazit
Die künstlerische Arbeit 11 Heroes of the Modern – digital_series#no.201011 thematisiert exemplarisch die Einwurf- bzw. Auswurfakte von 11 Fußball-Helden der Moderne auf das Spielfeld, während das Ausgangsmaterial in Farbe der Berichterstattung über Spiele im Rahmen eines Herren-Fußball-Wettbewerbs diente. Den rechtlichen Grundlagen folgend dürfte es sich aufgrund der Entkontextualisierung sowie der signifikanten Komposition in Erscheinung und Anordnung nicht um eine Bearbeitung handeln, sondern um ein neu geschaffenes Werk der bildenden Konzeptkunst bzw. der Medien-Kunst mit hinreichendem Abstand zum benutzten Werk.